Eine Analyse der postmodernen Familie

María Calvo hat sich viele Jahre lang mit Themen rund um die Familie befasst, darüber zahlreiche Bücher geschrieben und Vorträge gehalten. Gestützt auf diese Erfahrung analysiert sie in diesem Buch die neuen Trends in den Familien in einer postmodernen Gesellschaft, die sie Woke nennt.

Sie spricht von einem Erosionsprozess von Vernunft, Transzendenz, geschlechtlicher Differenz, Vaterschaft und Mutterschaft. Sie argumentiert, dass die Abwertung traditioneller Vorstellungen von Freiheit, Liebe, Familie und Geschlechterkomplementarität zu Identitätskrisen, Bildungsungleichgewichten, Beziehungsdefiziten und einer „Krise der Liebe“ geführt habe.

Ihre Kernthese lautet: Die Entkopplung von Sexualität, Fruchtbarkeit, Bindung und transzendenter Sinnorientierung produziert narzisstische Subjektformen, delegitimiert Vaterschaft und marginalisiert Mutterschaft, was nicht nur individuelle, sondern strukturelle psychosoziale Schäden zeitigt. Der Vorschlag lautet: Rehabilitierung von Vernunft, moralischer Bindung, Ausdifferenzierung der Geschlechter und komplementären parentalen Funktionen.

Vernunft, Freiheit und Transzendenz
Der Text eröffnet mit der Behauptung, dass der Verzicht auf Vernunft zur „Entmenschlichung“ führe: Der Mensch degeneriere zum von Impulsen gesteuerten Wesen und verliere Selbstherrschaft (Marín 2013). Die moderne Freiheitspraxis wird als paradoxer Selbstwiderspruch interpretiert: Im Namen grenzenloser Freiheit zerstöre sie die Bedingungen personal verantworteter Freiheit (Kuby 2017). Die Ausblendung eines transzendenten Horizonts schwäche normative Schranken, wodurch technisch Machbares moralisch zulässig erscheine (Benedikt XVI.).

Identitätspolitik, „Woke“-Diskurs und Männlichkeitskrise
Identitätspolitische Strömungen wie die „woke Ideologie“ werden als paradigmatischer Übergang von Gleichheits- zu Vergeltungslogiken charakterisiert. Sie postulierten eine kollektive Sühne männlicher Vergangenheit, indem traditionelle männliche Verhaltensmuster als „toxisch“ delegitimiert würden.

Pädagogische und bildungsbezogene Problematik
Auf empirische Studien (u. a. PISA) wird im Text verwiesen, um eine Bildungskrise von Jungen zu behaupten: schlechtere Lese-/Schreibkompetenzen, geringere Schulbindung, höhere Verhaltensauffälligkeit, geringere Abschlussquoten. Wenn öffentliche Diskussionen Männlichkeit hauptsächlich als etwas darstellen, das fehlerhaft oder schädlich ist, kann das bei vielen Männern Verunsicherung auslösen und ihre innere Antriebskraft mindern.

Vaterschaft als strukturierende und differenzierende Instanz
Zentral ist die These, dass Vaterschaft eine unersetzliche Funktion besitzt: Sie bestätige dem Sohn Männlichkeit und helfe der Tochter, Weiblichkeit durch Kontrast zu erfahren (Schlatter 2019). In Anknüpfung an psychoanalytische und tiefenpsychologische Motive wird der Vater als Agent von Trennung, Freiheit und „Entfusionierung“ aus der Mutter‑Kind-Dyade beschrieben. Sein Fehlen führe zu Identitätsdiffusion, erhöhter Verletzlichkeit und sozialer Dysregulation.

Mutterschaft in einem ideologischen Bild
Die Autorin stellt eine „radikalisiert antimaternale“ Variante des Feminismus heraus, die Mutterschaft als strukturelles Hindernis weiblicher Selbstverwirklichung deutet. Der analysierte Wandel reicht vom 1950er-Ideal der idealisierten Hausfrau bis zur heutigen Relativierung von Mutterschaft. So entsteht eine Sichtweise, die Körper und Fortpflanzung vor allem als etwas Planbares behandelt und das Kind stark funktional deutet: entweder zur eigenen Identitätsbildung oder als zusätzliche Belastung.

Abtreibung und weibliche Identität
Abtreibung verletzt Frauen seelisch ein für alle Mal. Mit einem Erfahrungsbericht (Naouri 2005) wird behauptet, dass das für alle Frauen gelte. Wer daher Abtreibung unterstützt, übe damit eine Form von Gewalt aus, weil das gegen den „natürlichen“ Lebenswillen der Frau gehe.

Anthropologie der komplementären Differenz
Der Text plädiert für ein komplementäres Modell elterlicher Rollen: väterliche und mütterliche Stile gelten als nicht austauschbar, sondern gegenseitig ausgleichend. Liebe wird funktional als bewusste Ausrichtung auf das Wohl des anderen definiert, gelöst von bloß spontanen Gefühlen. Freiheit erscheint als Selbstaneignung über Hingabe (Marín 2013). Diagnostiziert wird ein moderner narzisstischer Individualismus, der Bindung als Einschränkung statt als Grundlage personaler Entfaltung deutet.

Sozialethische Vorschläge

  • Aufwertung der Vaterschaftsrolle im öffentlichen und familialen Diskurs
  • Strukturelle Unterstützung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
  • Kulturelle „Vermütterlichung“ einer erodierten Gesellschaft
  • Wiederöffnung für Transzendenz als semantischer Rahmen moralischer Grenzen

Schluss
Die vorliegende Argumentation plädiert für eine normativ auf Transzendenz, Bindung und geschlechtliche Differenz gegründete Rekonstruktion westlicher Familienkultur. Sie versteht Vaterschaft und Mutterschaft als strukturierende, nicht austauschbare Achsen personaler und sozialer Stabilität und interpretiert individualistische Autonomie- und Gleichheitsnarrative als destruktiv, sofern sie Bindung, Fruchtbarkeit und komplementäre Rollen negieren.

Literatur

Kuby, Gabriele (2017). Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit. (Neuaufl./Erw. Ausg.; Erstaufl. 2012). Sankt Ulrich Verlag.

Bly, Robert (1990). Iron John: A Book About Men. Addison-Wesley.
Deutsche Ausgabe: Eisenhans. Ein Buch über Männer (versch. dt. Verlage).

Rosin, Hanna (2012). The End of Men and the Rise of Women. Riverhead Books.
Deutsche Ausgabe: Das Ende der Männer. Warum unsere Jungs so verzweifelt sind (2013).

Murray, Douglas (2020). The Madness of Crowds: Gender, Race and Identity. Bloomsbury (Paperback/aktuelle Ausg.).
(Erstaufl. 2019; deutsche Übers. 2021: Wahnsinn der Massen.)

Naouri, Aldo (2005). Les pères et les mères. Odile Jacob.

Jaggar, Alison M. (1977). Political Philosophies of Women’s Liberation. In: Feminist Frameworks (Sammelband / Aufsatz).

Autor

Dr. Karl-Maria de Molina

CEO & Co-Founder ThinkSimple.io

Projektleiter und Vorstand Family Valued

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